Magazin 21
Mut zur Wut
Mut zur Wut hat Mut zur Wut

Jeden Juli ereignet sich in Heidelberg Erstaunliches: Passanten bleiben plötzlich an Litfaßsäulen stehen. Sie zücken ihre Smartphones und umkreisen mit verwunderten Gesichtern die großen Zylinder, die sie sonst keines Blickes würdigen. Sie staunen und lachen, manchmal ekeln sie sich auch und vor allem diskutieren sie mit Fremden über das, was sie dort entdecken. Nein, es ist nicht die Sommerhitze, die ihnen den Verstand raubt und sie zu bizarrem Verhalten animiert. Es sind die Gewinner-Plakate des Wettbewerbs MUT ZUR WUT, die ihre Blicke magisch anziehen. Die faszinierende und polarisierende Kunstaktion wurde 2010 von dem bekannten Heidelberger Grafik-Designer und Plakatkünstler Götz Gramlich initiiert. Wir haben ihn und MzW-Mitorganisator Alexander Henninger im gggrafik design lab in Heidelberg Handschuhsheim zum Interview getroffen.

Für diejenigen, die euch noch nicht kennen – was ist MUT ZUR WUT?

Götz Gramlich: MUT ZUR WUT ist vor allem eines: es ist hochpolitisch. Mein guter Freund der Plakatierer Marcello Lucas und ich, wir saßen 2010 beim Feierabendbier zusammen und haben uns angeregt über Politik unterhalten. Plötzlich kam uns der wohl naheliegendste Gedanke: Warum laden wir nicht befreundete Grafiker ein, Plakate zu politischen Themen zu gestalten und Marcello hängt sie in Heidelberg auf? Passanten wachrütteln und zum Nachdenken bringen – das war unser Plan. Im ersten Jahr sind 15 Motive entstanden, die wir auf dem Vorplatz des Kulturhaus Karlstorbahnhof präsentiert haben. Die Resonanz war überwältigend.

Alexander Henninger: Ich war damals einer der begeisterten Ausstellungsbesucher. Götz und ich kennen uns schon lange und sind eng befreundet. Als er die Idee hatte, einen MZW-Verein zu gründen, der jedes Jahr aufs Neue den Plakatwettbewerb veranstaltet, war ich sofort dabei. Seit den 15 Premierenplakaten 2010 hat sich viel bei uns getan. Im zehnten Jahr unseres Bestehens erreichten uns rund 3.300 Plakateinsendungen aus 66 Ländern.

Eine unglaubliche Anzahl. Das können unmöglich alles befreundete Plakatkünstler gewesen sein ...

Götz Gramlich: Nein, natürlich nicht. Wir haben den Wettbewerb schon sehr früh geöffnet und international ausgerichtet. Jeder, der technisch in der Lage ist, im richtigen Format ein Plakat anzulegen, ist herzlich dazu eingeladen, sich zu beteiligen – weltweit. Es ist faszinierend zu sehen, von wo überall uns Einsendungen erreichen. Zum Teil kommen Bilddateien auch aus Ländern mit totalitären Regimen, in denen den Künstlern für die Teilnahme an MzW lange Gefängnisstrafen drohen, wenn sie dabei ertappt werden. Die gehen ein hohes Risiko ein.

Alexander Henninger: Die Flut an Einsendungen stellt auch uns als Verein vor große organisatorische Herausforderungen. Wir sind mittlerweile zu acht und sichten alle Plakate, die uns erreichen. Da heißt es erstmal kräftig aussortieren. Alle Plagiate werden ausgesiebt. Alles, was nicht den Formatvorgaben entspricht, auch. Wenn Themen sich auch nach mehrfacher Betrachtung einfach nicht erschließen, oder Plakate Hass und Hetze propagieren, dann fliegen die raus. Übrig bleiben rund 1.000 Plakate, die dann an die Fachjury weitergereicht werden.

Wie setzt sich die Jury zusammen, sind das jedes Mal die gleichen Mitglieder?

Alexander Henninger: Nein, der Verein lädt von Wettbewerb zu Wettbewerb andere Designer, Illustratoren und Künstler ein. Ein Jury-Mitglied wird dann beim Folgewettbewerb dazu eingeladen unser Corporate Design für das Jahr zu gestalten. 2021 ist es die Österreicherin Verena Panholzer.

Götz Gramlich: Das Ganze läuft folgendermaßen ab: Die fünfköpfige Jury bekommt etwa 1.000 Plakate von uns zur Sichtung und wählt 100 Gewinnerplakate aus. Diese 100 Plakate lassen wir dann auch drucken und präsentieren sie im Rahmen einer Ausstellung im Gebäude der Justizbehörden in Heidelberg. Bevor die Plakate gezeigt werden, laden wir die Jury-Mitglieder nach Heidelberg ein. Gemeinsam küren sie aus den hundert Finalisten dreißig Gewinner. Diese Plakate werden dann nicht bloß im Rahmen der Vernissage gezeigt, sondern auch im öffentlichen Raum plakatiert.

MzW ist den Sommer über omnipräsent in Heidelberg. Wie viele Plakate hängt ihr auf?

Alexander Henninger: In der Regel hängen wir ca. 1.600 Plakate auf. Etwa 1.000 Exemplare werden auf den Kultursäulen der Stadt Heidelberg gezeigt und nochmal 600 an öffentlichen Plätzen. Wir haben das Glück, dass wir viel Unterstützung von Kultur- und Veranstaltungshäusern wie dem Karlstorbahnhof, der halle02 und dem Theater der Stadt Heidelberg erhalten. Unsere Plakatausstellung findet während der Sommerpause statt und so können wir deren Plakatflächen für mindestens einen Monat übernehmen.

Götz Gramlich: Nicht nur die Kulturhäuser unterstützen uns. Unser Verein erhält von vielen verschiedenen Seiten Support. Anders wäre der Aufwand auch gar nicht mehr zu stemmen. Wir bekommen Geldspenden, aber auch Sach- und Leistungsspenden. Baier Digital etwa druckt für uns die Plakate zum Selbstkostenpreis und plak´n´play übernimmt kostengünstig die Plakatierung. Der Erfolg von MzW ist eine große Heidelberger Gemeinschaftsleistung.

2020 musste der Wettbewerb pandemiebedingt entfallen – richtig?

Götz Gramlich: Ja und nein. Richtig ist, dass aufgrund von Corona letztes Jahr keine Ausstellung in den Justizbehörden stattgefunden hat und auch die Plakatierung im öffentlichen Raum entfallen musste. Allerdings war für letztes Jahr sowieso alles etwas anders geplant. Anlässlich unseres Jubiläums wollten wir eine große Werkschau mit Plakaten aus 10 Jahren MzW präsentieren und keinen neuen Wettbewerb durchführen. Leider war das aufgrund des Infektionsgeschehens nicht möglich. Der Entschluss, statt eines Wettbewerbs einen Rückblick zu veranstalten, hatte aber nichts mit der Pandemie zu tun, sondern basierte auf der Entscheidung, MzW in eine Biennale umzuwandeln.

Alexander Henninger: Nach dem unglaublichen Erfolg von 2019 ist uns vereinsintern bewusstgeworden, dass unsere Kapazitäten ihr Maximum erreicht haben. Für nochmal so einen Sprung hätten unsere Ressourcen nicht genügt. Götz und ich, wir sind beide in den letzten Jahren Vater geworden. Er hat mit seinem Designbüro alle Hände voll zu tun, ich bin parallel auch Mitveranstalter des Jetztmusik Festivals und arbeite in einer Marketing-Agentur. Ohne unser großartiges Team an hochmotivierten Ehrenamtlichen würde es den Wettbewerb heute schon nicht mehr geben. Ihnen gebührt unser ganzer Dank! Der Schritt hin zum 2-Jahres-Zyklus war also notwendig, um MzW zukunftsfähig zu halten.

Also findet 2021 zum ersten Mal seit 2019 wieder ein neuer Wettbewerb statt?

Götz Gramlich: Exakt – seit Anfang April erreichen uns wieder Plakate aus der ganzen Welt und die Resonanz ist überwältigend. Auch die diesjährige Fachjury steht und ist wieder hochkarätig besetzt. Sie setzt sich zusammen aus Anna Haas aus Zürich, Anette Lenz aus Paris, Qiongjie Yu aus Zhejiang, Bráulio Amado aus New York und Benjamin Kivikoski aus Stuttgart. Momentan sind wir noch voller Hoffnung, dass wir uns alle im Sommer wirklich hier in Heidelberg treffen können und die Vernissage vor Publikum stattfinden wird. Aber wie sich die Lage auch entwickelt, MzW wird 2021 stattfinden, selbst wenn die Jury online tagt. Ab Juli werden wieder 30 Plakate Passanten zum öffentlichen Diskurs einladen – denn darum geht es uns. Das ist unser Auftrag und unser Herzensanliegen.

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