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Der Frankfurter Architekturfotograf und seine Liebe zu rauem Beton
Als Heimburger Immobilien 2020 die Anfrage erhielten, eine historische Bauhaus-Villa in Weinheim auf den Markt zu bringen, stand eines sofort fest: Dieses Objekt soll Gregor Zoyzoyla ablichten. Wie kaum ein zweiter Fotograf versteht er es, architektonischen Purismus gekonnt in Szene zu setzen. Zu diesem Zeitpunkt rechnete niemand damit, dass die Bilder wenig später ein Erdbeben in der Architekturszene auslösen würden. Das Medienecho ist gewaltig, Fachmagazine und Blogs überschlagen sich, darunter auch so renommierte Formate wie DWELL, The Spaces und Architectural Digest. Für 21 beschreibt Gregor Zoyzoyla ausführlich, was ihn am Beton fasziniert und warum er mit Gründerzeit-Architektur nur wenig anzufangen weiß.
Regen und Frost der vergangenen 60 Jahre haben dem Mauerwerk zugesetzt. Hier auf der Schattenseite gedeiht der Mooswuchs prächtig. Die Betonkanten der Balkone bröckeln und der schleichende Verfall bricht die streng geometrische Architektur langsam auf. Jetzt schnell das passende Objektiv und rasch das Bild in den Kasten bekommen. Die Anwohner gucken schon komisch und wundern sich, was ich hier treibe und warum ich mich für ihr Wohnquartier interessiere.
Momente wie diese habe ich in den letzten Jahren zuhauf erlebt. Genauer gesagt seit 2015, dem Jahr, in dem sich mein Leben von Grund auf verändert hat. Als Neckargemünder Bub habe ich meine Freizeit meist in Heidelberg verbracht. Fotografie war damals schon meine Leidenschaft und die Kamera mein ständiger Begleiter. Vorwiegend habe ich Freunde porträtiert, oft im Nachtleben der Studentenstadt. Statt auf inszenierte Schönheit und exzessive Bildbearbeitung zu setzen, war mein Blick schon immer ein dokumentarischer. Ich war auf der Suche nach der kleinen Narbe, die eine Geschichte erzählt, nach der Falte, die das Gesicht interessanter macht.
Nun also 2015, das Jahr in dem ich meinen Lebensmittelpunkt nach Frankfurt verlagert habe. Hier sitze ich nach Feierabend mit meiner Lebensgefährtin und dem neugeborenen Kind in der Beletage eines Hauses aus der Gründerzeit und sehne mich nach meinem Hobby, der Fotografie. Was soll ich nur fotografieren, so weit von Heidelberg entfernt. Das Baby – nein, zu privat. Die Wohngegend – nein, Gründerzeitvillen langweilen mich. Durch Zufall bekomme ich ein Exemplar des Bildbandes „CCCP. Cosmic Communist Constructions Photographed“ zwischen die Finger und bin begeistert. 300 großformatige Seiten voller obskurer Betonbauten, die alt, verfallen und futuristisch zugleich wirken.
Mächtige Bauwerke aus Ländern, die für immer von der Landkarte verschwunden sind.
Diese Architektur erzählt die gleichen Geschichten von Narben und Falten, die mich in der Portraitfotografie schon immer begeistern. Es sind Geschichten von schleichendem Verfall, Zeugnisse von Selbstüberschätzung und Fehlplanung, aber auch Belege für einen festen Glauben an eine Zukunft, die schließlich anders eintritt als gedacht. Diese Monumente aus Stahl und Beton gibt es auch in Frankfurt. Aus dem Zugfenster habe ich sie unzählige Male an mir vorbeiziehen sehen. Ich muss sie finden und ich muss sie dokumentieren. Soviel Zeit hat auch ein frisch gebackener Papa.
Mit kleinem Zeitfenster mache ich mich auf die Suche nach den großen Betonbauten und werde fündig. Die Fotos platziere ich auf Instagram und versehe sie mit den Hashtags der Szene: #brutalism #symmetricalmonsters #plattenbau. Zu meinem Erstaunen finden die Bilder Beachtung und bekommen Likes, sodass heute in den sozialen Medien fast 33.000 Menschen meinen Fotos folgen. Je mehr ich mich in die Materie einlese, mir die Namen der Architekten einpräge und mich dem Brutalismus und der Postmoderne widme, desto stärker verwandelt sich meine „Bubble“ in einen schlichten Quader aus Beton.
Aus einem Hobby ist eine Passion erwachsen, die viele Spielarten der Nachkriegsarchitektur miteinschließt: La Grande-Motte in Südfrankreich, das Barbican Center in London
– Urlaubsreisen buche ich mittlerweile entlang architektonischer Landmarken. Vor Antritt einer Geschäftsreise recherchiere ich nächtelang die Spuren der Betonmischer in der Umgebung des Reiseziels. Die brachiale Formenkraft dieser Monumente der 1960er Jahre hat mich und viele andere in ihren Bann gezogen. Während Gegner des Architekturstils den Gebäuden Dynamitstangen und Abrissbirnen wünschen, setzten sich Liebhaber für eine Aufnahme ins UNESCO-Weltkulturerbe ein.
Erst jetzt, sechzig Jahre später, erkennen nicht mehr nur Freunde modernistischer Architektur den Charme der puristischeren Geometrie neu. Die Devise „form follows function“ dominiert ohnehin wieder den modernen Städtebau. Viele wollen heute in Heidelbergs Bahnstadt wohnen, nur wenige hingegen in Mannheims Neckarpromenade und das obwohl die Architektur Parallelen aufweist. In Zeiten akuten Wohnraummangels empfiehlt es sich, eigene architektonische Vorlieben kritisch zu hinterfragen. Warum nicht das Ideal der 1960er Jahre wieder Realität werden lassen und diese wunderbaren Gebäude mit Fingerspitzengefühl auf den neuesten Stand modernen Wohnkomforts bringen?
Ich für meinen Teil würde, zumindest architektonisch betrachtet, liebend gerne aus meinem Gründerzeithaus in einen der schlichten Bungalows in Frankfurt-Niederursel ziehen. Vielleicht werden Stadtteile wie Emmertsgrund und Boxberg ja auch für Heidelberger eines Tages wieder Sehnsuchtsorte.